Griechenland, 300 Migranten im Hungerstreik

von Achim Rollhäuser
Am 25.Januar haben knapp 300 Migranten in Athen und Thessaloniki einen Hungerstreik begonnen. Die bürgerliche Öffentlichkeit antwortet mit einer beispiellosen rassistischen Hetze. Sie leben hier ohne Aufenthaltserlaubnis und fordern gleiche Rechte wie die Griechen – also die Legalisierung aller Migranten und das Recht für alle Menschen, dort hingehen und arbeiten zu können, wo sie wollen. Sie fordern letztlich «offene Grenzen» – no borders. Dies geht weit über das hinaus, was Migranten bisher öffentlich gefordert haben. Die Hungerstreikenden haben sich damit entschlossen, das Humanitäre, das an Fragen der Menschenrechte Geknüpfte, zu überwinden; sie führen einen politischen Kampf für ihre Rechte, unabhängig von dem, was ihnen von irgendwelchen EU-Regelungen oder griechischen Gesetzen zugestanden wird. Sie begreifen sich nicht als «Opfer» der politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, sondern als handelnde Subjekte, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das ist das Besondere an diesem Hungerstreik, und es hat zur wütenden Bekämpfung durch alle bürgerlichen Kreise, auf der anderen Seite aber auch zu einer breiten Unterstützung durch fortschrittliche, linke und anarchistische Kräfte in Griechenland und in der ganzen Welt geführt. Aus der Sicht der bürgerlichen Klasse, aber auch der ihr verbundenen gemäßigten «Linken», ist klar, dass die Migranten nicht fordern, sondern arbeiten sollen. Sie sollen froh sein, daß sie geduldet werden, dass ihnen inoffiziell ein Status von «Gästen» eingeräumt wird, die für Hungerlöhne auf Feldern und Baustellen schuften dürfen, ohne irgendwelche Rechte zu haben. Sie sollen sich in diese moderne Form der Sklaverei fügen. Zwischen 300000 und 500000 Menschen leben in Griechenland mit diesem rechtlosen Status; die Schätzungen schwanken je nach politischer Couleur. Manche haben aus bürokratischen Gründen die (letzte) Legalisierung 2005 verpasst; manche haben ihren legalen Status verloren, z.B. weil sie bei der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht genug Arbeitszeit nachweisen konnten; die meisten sind nach 2005 gekommen und bleiben ohne Papiere. Das hat in manchen Städten zu einer explosiven Situation geführt. Denn ihre Lage zwingt die Migranten dazu, eng zusammenzurücken, um der Staatsmacht möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Die Folge ist Ghettobildung und Kleinkriminalität. Dies wiederum hat die Mehrzahl der Medien und haben die rechten Parteien dazu genutzt, eine wüste rassistische Hetze gegen die Migranten zu entfalten – in einigen Stadtteilen von Athen, Patras und verschiedenen kleineren Orten Griechenlands hat sie schon zu Pogromen geführt. Die 300 Hungerstreikenden haben zu ihrer Situation erklärt: «Wir sind Migrantinnen und Migranten aus ganz Griechenland. Wir kamen hierher, vertrieben von Armut, Arbeitslosigkeit, Kriegen, Diktaturen. Die multinationalen Konzerne des Westens und ihre politischen Handlanger in unseren Heimatländern haben uns keine andere Wahl gelassen, als zigmal unser Leben zu riskieren, um an Europas Pforte zu gelangen. Der Westen, der unsere Länder ausplündert, ist mit seinem unvergleichlich höheren Lebensstandard für uns die einzige Hoffnung, wie Menschen zu leben. Wir kamen nach Griechenland (mit und ohne reguläre Einreise), um zu arbeiten und uns und unsere Kinder zu ernähren.» Freizügigkeit nur fürs Kapital? Bei den Hungerstreikenden handelt es sich durchweg nicht um «Flüchtlinge» im engeren Sinn. Das ist gerade in Deutschland oft verkannt worden. Es geht nicht (nur) um humanitäre Fragen; hier ist ein klares politisches Bekenntnis zu einem Aufenthaltsrecht für alle in Griechenland, Deutschland oder sonstwo in Europa lebenden Sans-Papiers gefordert. Es geht um die Freizügigkeit von Menschen zu einer Zeit, in der das Kapital für seine Waren und Güter längst alle Grenzen niedergerissen und dadurch die Lebensbedingungen für die Menschen im globalen Süden entscheidend verschärft hat – was wiederum viele zur Migration zwingt. Die «300» wollen ihre rechtlose Lage nicht weiter hinnehmen. Sie wollen sich nicht mehr den von den Herrschenden aller entwickelten kapitalistischen Länder – sei es in Europa, Nordamerika oder Ostasien – vorgegebenen Regeln unterwerfen. Dementsprechend heftig fiel die Reaktion der Regierung, der bürgerlichen Parteien und der meisten Massenmedien aus, als die Hungerstreikenden in Athen auf Einladung der Studierenden in einem leerstehenden Gebäude der Juristischen Fakultät der Universität unterkamen: ein Aufschrei der Empörung! Wie können die Migranten und ihre Unterstützer es wagen, Forderungen nach Legalisierung aufzustellen und dann auch noch das universitäre Asyl zu mißbrauchen! Tagelang ging es vorwiegend um dieses Asyl – über die Forderungen der Hungerstreikenden wurde kaum noch gesprochen –, das angeblich nur der Freiheit der Wissenschaft diene. Dabei wurde es nach dem Ende der Herrschaft der Militärjunta 1974 genau deswegen eingerichtet, um politisch unliebsamen Menschen Zuflucht zu verschaffen; es hätte also genau auch diese Migranten einschließen müssen. Stattdessen wurde so lange gehetzt, bis der Polizeiminister das Fakultätsgebäude mit Tausenden seiner Knüppelgarden umstellen und mit Räumung drohen ließ, sodass die Hungerstreikenden ihren Kampf schließlich in einem anderen Haus unter katastrophalen räumlichen und sanitären Bedingungen fortsetzen mussten. Solidarität Auf der anderen Seite nimmt die Solidarität mit den Hungerstreikenden täglich zu. Hunderte von Betriebsorganisationen, Gewerkschaftsgliederungen, Verbänden, Gruppen, Vereinigungen haben erklärt, ihre Forderungen zu unterstützen. Solidarität erfahren die Hungerstreikenden auch dem Ausland: von Gruppen von Sans-Papiers aus Frankreich, von Gewerkschaftsgruppen aus Deutschland, England, Kanada usw. Auch viele Einzelpersonen sind darunter, unbekannte und bekannte, wie z.B. Marta Harnecker, Noam Chomsky, Immanuel Wallerstein u.a. Etienne Balibar und Slavoj ˇZiˇzek haben persönliche Solidaritätsadressen an die Hungerstreikenden gerichtet. Die radikale Linke in Griechenland wird aus dem Kampf der Hungerstreikenden gestärkt hervorgehen. Die meisten Gruppen und Organisationen haben ihn entweder von Anfang an oder nach kurzem Zögern unterstützt. Die Forderung nach Legalisierung der rechtlosen Migranten wird in der Gesellschaft immer breiter diskutiert. Gleichzeitig wird die Politik Griechenlands, aber auch der EU, mit ihrer Abschottung nach außen und der Befestigung ihrer Grenzen infrage gestellt: Frontex, das Rückführungsabkommen mit der Türkei, Afghanistan usw., die Grenzzäune in Griechenland und Bulgarien. Gerade auch Deutschland mit seiner restriktiven Migrationspolitik und der verlogenen Zurückweisung jeder Verantwortung für die unhaltbare Situation von Migranten und Flüchtlingen in Italien, Spanien und Griechenland steht am Pranger. Am 26.Tag des Hungerstreiks (19.2.) spitzt sich die Situation dramatisch zu. Die ersten Hungerstreikenden sind in verschiedene Krankenhäuser Athens und Thessalonikis eingeliefert worden, nachdem bei ihnen Schwindelgefühle, Übelkeit, Ohnmacht und Dehydrierung festgestellt wurden. Ernste Gesundheitsschäden können die Folge sein. Bisher hat sich die Regierung kaum bewegt. Sie hat lediglich in Aussicht gestellt, Regelungen für diejenigen einzuführen, die wegen fehlender Arbeitsnachweise bzw. Arbeitslosigkeit aufgrund der Krise ihre Aufenthaltserlaubnis verloren haben. Es scheint, dass sie es darauf anlegt, Tote zu sehen. Denn es ist klar, wenn Leute sterben, muss sie wenigstens teilweise einlenken, weil die öffentliche (bzw. veröffentlichte) Meinung dann umschwenken wird. Die Regierung fürchtet offenbar massiven Widerstand seitens der rechten und faschistischen Kräfte, wenn sie schon nachgibt, und sei es nur ein wenig. Alles scheint also davon abzuhängen, wie sich die politischen Kräfteverhältnisse zwischen dem reaktionären und dem fortschrittlichen Lager in den nächsten Tagen entwickeln. Man darf zuversichtlich sein. Der Autor arbeitet im Solidaritätskomitee mit den Hungerstreikenden.

http://www.sozonline.de/2011/02/griechenland-300-migranten-im-hungerstreik/